Verein, Top3, Top7 | Montag, 03. Januar 2022

HEUTE VOR 85 JAHREN

VfB Leipzig gewinnt DFB-Vereinspokal gegen Schalke 04

Am 3.1.1937 gewann der VfB Leipzig vor 70.000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion den zum zweiten Male ausgetragenen DFB-Vereinspokalwettbewerb (damals "Tschammer-Pokal") durch einen 2:1-Sieg im Finale gegen den FC Schalke 04. Der erste Deutsche Meister wurde damit auch zweiter Deutscher Pokalsieger und ist somit nicht nur auf der DFB-Meisterschale, sondern auch auf dem DFB-Pokal verewigt.


Und so hatte sich das Ganze damals zugetragen:
Obwohl es ein ganz normaler Montag - also Arbeitstag - war, strömten Tausende am 4. Januar 1937 zur früher Stunde zum Leipziger Hauptbahnhof. Die da unter großem Jubel 9.43 Uhr aus Berlin eintrafen, hatten am Tag zuvor das schier Unglaublich geschafft: Der VfB Leipzig hatte sich als zweiter Pokalsieger der deutschen Vereinsgeschichte gegen den haushohen Favoriten Schalke 04 mit 2:1 (2:1) durchgesetzt.

"Sensationelle" rauschte es durch den Blätterwald - in der Tat war den Leipzigern ein Husarenstück gelungen, das ihnen so recht niemand zugetraut hatte. Zu deutlich beherrschten die Knappen um Fritz Szepan und Ernst Kuzorra die deutsche Fußballandschaft jener Jahre. Der Schalker Kreisel dreht sich 1933 zum ersten Male bis ins Meisterschaftsfinale, wo er erst durch die Fortunen aus Düsseldorf gestoppt wurden. Aber 1934 und 1935 holte sich Schalke seine ersten zwei von sechs Meistertiteln bis 1942. Die Knappen machten in den 30er und 40er Jahren fast jeden Gegner zum Spielball ihrer verwirrenden Kombinationen. Nur höchst selten erwischte mal eine andere Mannschaft einen derart guten Tag, dass die Schalker strauchelten. Dem VfB gelang dieses Kunststück am 3. Januar 1937.

23 Jahre war es schon her, seit der dreimalige Vorkriegsmeister zum letzten Mal im Rampenlicht des deutschen Fußballs gestanden hatte - 1914 in jenem denkwürdigen Magdeburger Finale, als die SpVgg Fürth nach zweimaliger Verlängerung mit 3:2 der glückliche Sieger geblieben war. Nach fast einem Vierteljahrhundert rafften sich die Nachfolger des Altmeisters endlich einmal wieder zu einer Glanzleistung auf.

1935 hatten sich Deutschlands Fußballobere endlich entschlossen, wie in vielen anderen europäischen Staaten der Meisterschaft einen nationalen Pokal beizustellen. Auch deshalb, um kleinen Vereinen die Chance einzuräumen, irgendwann einmal einen Großen auf dem falschen Fuß zu erwischen. So traten in der ersten Pokalrunde, die am 6. Januar 1935 begann und sich - wie in den folgenden Jahren - über das ganze Kalenderjahr hinzog, bereits 4.000 Mannschaften aus dem ganzen Reich an. Im Triumphjahr des VfB waren es bereits über 5.000. Der erste Deutsche Pokalsieger hieß 1.FC Nürnberg.

Interessanterweise gelang es bereits dem Vielfachenmeister der 20er Jahre, die Wunderknaben aus Gelsenkirchen im Finale von Düsseldorf zu bezwingen (0:2). Nachdem auch der VfB Leipzig die Knappen geschlagen hatte, gelang denen erst im dritten Anlauf in der Pokalrunde 1937 der langersehnte Pokalsieg gegen Fortuna Düsseldorf (2:1).

Der Weg ins 36er Finale von Berlin war für die Leipziger wahrlich kein Spaziergang. Erst mussten sieben mehr oder weniger starke Vereine aus dem Weg geräumt werden. War in der Zwischenrunde die SpVgg Meerane als Bezirksklasse-Mannschaft (5:1) kein Stolperstein, gelang gegen den Leipziger Bezirksligisten Olympia in der vierten Zwischenrunde erst kurz vor Schluss der 2:1 Siegtreffer. Die Blau-Weißen warfen dann im Laufe des Jahres 1936 mit dem 1.SV Jena (Meister des Gaus Mitte - 5:0), Vorwärts Rasensport Gleiwitz (Schlesischer Meister - 2:2, Wiederholungsspiel 3:0), den Berliner SV 1892 (Berliner Meister - 5:1) und im Halbfinale Wormatia Worms (Südwestmeister - 5:1) gleich vier der 16 deutschen Gaumeister aus dem Wettbewerb. Dazwischen war noch im Viertelfinale für den VfB Peine, eine Liga-Mannschaft, nach dem 2:4 gegen den Namensvetter aus Leipzig Endstation. Diese Siegesserie war beeindruckend - der VfB hatte schließlich nach der Saison 1935/46 in der Sachsenliga nur den mageren fünften Platz belegt.

Der VfB drang also keineswegs über leichte Gegnerschaft in dieses Finale von Berlin vor. Ebenso wie Schalke, das zuvor erst renommierte Vereine wie den VfB Stuttgart in zwei Spielen, Werder Bremen, und die damals starken Spieler von Schweinfurt 05 besiegen musste. Wegen der Olympischen Spiele von Berlin hatte sich der Pokalplan so verzögert, dass das Finale erst drei Tage nach Neujahr im neu erbauten Olympiastadion stattfinden konnte.

VfB-Spielführer Erich Dobermann erinnerte sich später noch genau an die Ankunft am 2. Januar im Hotel Russischer Hof in der Reichshauptstadt: "Dort hatten bereits die Schalker Quartier bezogen. Sie würdigten uns keines Blickes." Auch der Torschütze zum 2:0, Herbert Gabriel, konnte sich ein halbes Jahrhundert später noch gut erinnern, wie arrogant sich die Schalker gegenüber den VfB-Spielern zeigten. Eine Hochnäsigkeit, die sich am Nachmittag des 3. Januar rächen sollte. Ein überwältigender Anblick für die 22 Spieler dann am Finalnachmittag: 60.000 Zuschauer wollten den Kampf David gegen Goliath miterleben. Das Wetter war ausgezeichnet - kein Schnee, keine Kälte. 4.000 Leipziger feuerten ihren VfB lautstark an, nachdem Schiedsrichter Zacher um zwei Uhr nachmittags das Spiel angepfiffen hatten.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis die Zuschauer ungläubig auf den Olympiarasen herabblickten: Nicht die Ballartisten um Kuzzora und Szepan machten das Spiel. Der VfB spielt frech nach vorn, vermeidet jeden Schnörkel und gelangt immer wieder gefährlich vor das Tor der Westdeutschen, indem die freien Räume geschickt genutzt werden. Schon in der 4. Minute stösst Schalkes Torwart Mellage den VfB-Stürmer Breidenbach im Strafraum mit dem Ellenbogen weg, was durchaus auch hätte Elfmeter bedeuten können. Nach gut zehn Minuten Pech für den kleinen Gabriel, als er nach einem Abwehrfehler des Schalkers Tibulski den Ball entschlossen abdrückt und nur den Pfosten trifft. In der Schalker Mannschaft zieht vollends Verunsicherung ein, weil eine solch freche und unbekümmerte Spielweise der Leipziger nicht erwartet worden war.

In der 19. Minute klingelt es zum ersten Mal im Tor der Westdeutschen: der Halblinke des VfB Reichmann schiesst aus ungefähr zehn Metern aufs Tor; Mellage faustet den Ball in die Strafraummitte zurück, wo VfB-Mittelstürmer Mey den Ball stoppt und anschließend hoch ins Schalker Tor befördert. In der Folgen nun auch dicke Chancen für die Knappen. Ein Tor wird wegen Fouls aberkannt, ein herrlicher 30-Meter-Schuss kann vom VfB-Torhüter Wöllner gerade noch um den Pfosten gelenkt werden. Aber statt Sekt nur Selters für die Schalker: Nachdem Schalkes Tibulski über den Ball geschlagen hat, dringt Reichmann in den Schalker Strafraum ein, passt genau zum quirligen Gabriel. Der scheint in jener spielentscheidenden Szene Nerven wie Stahlseile zu besitzen: In aller Ruhe umspielt Gabriel in seinem ersten Spiel der Ersten des VfB (!) Torwart Mellage und schiebt zum 2:0 ein. Nun stand die Fußballwelt endgültig Kopf.

Die Schalker erstarrten nun aber nicht, ziehen in der Folge ums andere Mal ihr berühmtes Kreisel-Spiel auf, ohne ganz dicke Gelegenheiten herauszuspielen. In der 42. Minute gelingt Kalwitzki mit einem Flachschuss der Anschlusstreffer. Aber der VfB verteidigt trotz Schalker Generalangriff den Vorsprung in der zweiten Halbzeit, stemmt sich mit Mann und Maus und einem überragenden Wöllner im Tor gegen den Ausgleich. Die Leipziger verkrampften nicht und bringen mit Glück und Geschick den Vorsprung bis zum Schlusspfiff durch. Auch deshalb, weil sie ab Mitte der zweiten Halbzeit wieder mit Gegenangriffen vor dem Schalker Tor auftauchten - so gibt es für die Schwerstarbeiter in der VfB-Abwehr ab und an eine Verschnaufpause.

Die letzten zehn Minuten sind noch einmal durch ein Schalker Feuerwerk geprägt. Thiele rettet sieben Minuten vor Ultimo auf der Linie, drei Minuten vor Schluss fordern die Schalker noch einmal Elfmeter - vergebens. Als der Schiedsrichter abpfeift, schauen die 60.000 Zuschauer erst kurze Zeit erstaunt auf den Rasen, dann bricht der Freudenbeifall aus. 4.000 Leipziger Schlachtenbummler belagern am später Nachmittag die Berliner Innenstadt. Ganz Berlin freute sich mit den Sachsen über die deftige Überraschung. Beim abendlichen Empfang im Russischen Hof war von Schalker Arroganz dann nicht mehr viel zu spüren.

Die damaligen Pressestimmen: 


Kicker: 

"... Denn gewonnen hat der VfB nicht nur durch das Glück, das ja der Tüchtige immer haben muss, und durch andere Umstände, sondern allein durch die reine und einwandfreie bessere Leistung."

Die Fußball-Woche:
"... Die Leipziger haben den Pokal nach Verdient erobert. Das Glück hat ihnen geholfen, aber den Weg zum Sieg hat sich die VfB-Elf selbst gebahnt! ... Beim VfB Leipzig hat jeder der elf Spieler hohen Anteil an dem schönen Erfolg, die Mannschaft hatte nicht eine schwache Stelle, nicht eine Lücke ..."

 
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