Interview mit Jens Kesseler aus dem BRUNO
"Eine fremde Übernahme der GmbH ist ausgeschlossen"
Nachfolgend das Interview mit dem Finanzvorstand Jens Kesseler aus dem Stadionheft BRUNO vom 6. Dezember 2014:
Am 21. November hat sich die große Mehrheit der Mitgliederversammlung für die Ausgliederung der 1. Mannschaft in die bereits bestehende 1. FC Lokomotive Leipzig Marketing & Merchandising GmbH zum 1. Juli 2015 entschieden. Welche Bedeutung hat dieser Schritt für den Verein und für Sie persönlich?
Für den Verein ist es ein weiterer wichtiger Schritt zu den dringend notwendigen strukturellen Veränderungen, die wir bei unserem Amtsantritt 2013 angekündigt hatten. Es geht darum, die Prozesse an die nötigen Anforderungen für ein modernes Management eines großen Sportvereins anzupassen, der wir nun einmal sind. Mich freut sehr, dass wir die Mitglieder überzeugen konnten. Die 85 prozentige Zustimmung haben mich schon etwas überrascht, gerade bei dieser komplexen Thematik.
Es ist wichtig, das der ideelle gemeinnützige Bereich (Nachwuchs und Breitensport) des Vereins vom bezahlten Sport und den dazugehörigen Nebenleistungen zu trennen. Vor allem aus haftungstechnischen und organisatorischen Gründen und insbesondere zum Schutz der Gemeinnützigkeit des Vereins. Aktuell ist beispielsweise zu lesen, dass die Finanzbehörden dem 1. FC Kaiserslautern mit dem Entzug der Gemeinnützigkeit drohen, wegen hoher Verluste im Profi-Geschäftsbereich. Dieser Art Gefahr für den Gesamtverein gehen wir damit ab dem 1. Juli 2015 aus dem Weg.
Außerdem bleiben die Basisdemokratie und der Einfluss der Mitglieder durch die letzten Satzungsänderungen absolut erhalten. Eine fremde Übernahme ist so ausgeschlossen. Weiterhin soll die nächste Mitgliederversammlung zwei Mitglieder in den Aufsichtsrat der GmbH wählen, jedes Mitglied kann kandidieren. Nach außen gibt es keinen Unterschied: Auf dem Feld steht das Team des 1. FC Lok und keine Firma.
Gerade die Wochen vor der Mitgliederversammlung waren sehr arbeitsam. Wie sieht es
eine durchschnittliche Woche Ehrenamt des Präsidiumsmitgliedes Jens Kesseler aus?
Jeden Montag um 13 Uhr habe ich ein Meeting mit unseren Geschäftsführern Tom Franke (1. FC Lok) und Sascha Günther (Marketing & Merchandising GmbH). Aller 14 Tage findet Dienstagabend eine Präsidiumssitzung statt, die vier bis fünf Stunden dauert. Mit den Finanzbehörden habe ich fast jede Woche Abstimmungsbedarf, in den letzten Wochen kamen noch viele Stunden wegen der freiwilligen Prüfung des Jahresabschlusses der Saison 2013/2014 durch Wirtschaftsprüfer hinzu. Zusätzlich sind an zwei bis drei Tagen in der Woche stundenweise Gespräche mit Aufsichtsrat, Sponsoren , Mitarbeitern und Geschäftspartnern. Dazu kommen noch zahlreiche Telefonate. Aber das geht meinen Präsidiumskollegen ganz genau so. Wir kommen so locker um die 20 Stunden pro Woche.
Als Sie im April 2013 als Vereinsexperte im Beruf mit Ihren anderen Mitstreitern die Verantwortung, sprich die Präsidiumsposten übernommen hatten, stand der Verein am Abgrund. Was dachten Sie beim ersten Blick in die Bücher?
Der Verein war zu diesem Zeitpunkt eigentlich klinisch tot. Weder ein brauchbares Rechnungswesen geschweige betriebswirtschaftliche Auswertungen lagen vor. Da war ein schwarzes Loch und dadurch ein hohes Risiko nicht nur für mich sondern auch für die anderen neuen Präsidiumsmitglieder.
Was denken Sie beim Blick in die Bücher im November 2014?
Jetzt liegt ein aktuelles Buchhaltungs- und Controllingssystem vor. Sogar überdurchschnittlich schnell: 14 Tage nach Monatsende haben wir die aktuelle Vermögens- und Ergebnislage des vorangegangenen Monats auf dem Tisch. An dieser Stelle ein Dank an unseren Buchhalter Uli Arnold, der übrigens auch das interessante Projekt Blindenfußball beim 1. FC Lok koordiniert. Die finanzielle Lage ist weiter angespannt. Solch eine Sanierung, in der wir uns gerade befinden, dauert zwei bis drei Jahre. Da ist es nicht immer leicht Prioritäten zu setzen. Das ist ein sehr energiezehrender und nervenaufreibender Kampf für alle Präsidiumsmitglieder und die Geschäftsführer. Wir haben ein sehr schweres Erbe angetreten, da die Saison 2012/2013 mit einem Verlust von rund 500.000 Euro beendet wurde. In der Spielzeit 2013/2014 haben wir trotz der sehr schwierigen Ausgangslage einen kleinen Gewinn erreicht.
Die Herausforderungen für den FCL bleiben riesig. Was stimmt Sie dennoch zuversichtlich?
Natürlich die enorme Unterstützung von vielen Fans und Mitgliedern. Die Lok-Community ist eine verschworene Gemeinschaft. Wir haben ein großes Potential an freiwilligen Engagement aktivieren können, am Beispiel des Baubeirates wird das sehr deutlich. Auch der Imagewandel des Vereins wird immer mehr in der Öffentlichkeit wahrgenommen und honoriert. Der Neuanfang im April 2013 war und ist natürlich eine große Chance zur umfassenden Erneuerung des Vereines. Dennoch müssen wir alle weiter Geduld aufbringen.
Es ist bald Weihnachten: Viele Lok-Fans würden sich das Stadiongelände unterm Tannenbaum beim 1. FC Lok wünschen. Wann wird in dieser Angelegenheit Bescherung sein?
Bis zum Fest werden wir es leider nicht schaffen, haben aber die entscheidenden Schritte eingeleitet. Ich hoffe, dass wir bis zum Beginn der neuen Saison Klarheit haben. Das hat für uns oberste Priorität.
Wie sind Sie eigentlich erstmals zum 1. FC Lok gekommen?
Das erste Mal bin ich mit meinem Vater 1974 beim UEFA-Cup-Viertelfinale (5:4 n.E. und Einzug ins Halbfinale für den FCL/d.Red.) im Zentralstadion gegen Ipswich Town gewesen. Danach war ich in den 70ern und 80ern bei sehr vielen Spielen dabei. Das schönste Spiel war für mich 1983 das 4:0 im rappelvollen Bruno-Plache-Stadion gegen Girondins Bordeaux mit der halben französischen Nationalmannschaft. Damals war ich bei der Armee und habe mir extra Urlaub genommen. Die haben wir richtig an die Wand gespielt. Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke.
Neben Ihrer Arbeit und Ihres Ehrenamtes sind Sie ein leidenschaftlicher und auch überdurchschnittlich guter Läufer. Wann steigt der nächste Marathon?
Am 30. Mai 2015 in Stockholm unter blau-gelber Flagge. Das wird mein 35. Marathon. Laufen ist für mich Freiheit. Bei langen Läufen habe ich die besten Ideen und finde gute Lösungen für Probleme. Es ist meine Art der Meditation. Der schönste Lauf war für mich bisher 2008 in New York.
Sie haben das Laufen auch zum 1. FC Lok gebracht …
Das stimmt. Ich fand es spannend, eine Laufgruppe beim 1. FC Lok zu gründen, um den Fans das Laufen näher zu bringen und regelmäßigen Läufern die Chance zu geben, sich zu verbessern. Durch unsere Lauftreffs jeden Donnerstag und Sonntag haben sich einige Läufer signifikant verbessert. Ich freue mich, dass wir in diesem Bereich mit dem SC DHfK und dem Leipziger Laufladen kooperieren. Mein Wunsch wäre, nächstes Jahr 15 bis 20 LäuferInnen regelmäßig bei den Treffs der Laufgruppe zu haben. Das wäre ein schönes Bild, so viele Lokis im „Lok läuft“-Shirt durch die City laufen zu sehen.
Laufen ist in Ost-Afrika Volkssport. Zum schwarzen Kontinent haben Sie eine besondere Beziehung.
Ich war schon als Kind von Afrika fasziniert. 15 der 54 Länder Afrikas habe ich schon bereist. Es sollen aber noch einige dazukommen. Insbesondere Ost- und Zentralafrika haben es mir angetan. Am wohlsten fühle ich mich beim Zelten in der afrikanischen Savanne. Mein schönstes Erlebnis war eine Begegnung mit Berggorillas in Ruanda und der gefährlichste Moment war ein Angriff durch ein Flusspferd auf mein Kanu auf einem Seitenarm des Sambesi in Sambia.Besonders oft bin ich in Tansania. Dort betreibe ich mit Freunden ein Hostel und eine Bar auf Zanzibar, eine traumhafte Insel direkt an der Ostküste Afrikas im Indischen Ozean.
Auf dem Platz fehlt dem 1. FC Lok im Moment die Konstanz. Was sagt das Fan-Herz von Jens Kesseler? Wo steht die Mannschaft am Ende der Oberliga-Saison?
Ich hoffe auf den zweiten Platz, der ist noch drin. Ich würde mich sehr über den Aufstieg freuen. Schade, dass wir nur vier der bisherigen neun Heimspiele gewonnen haben, da hatte ich natürlich mehr erwartet. Aber die Mannschaft hat Potential und wir hatten immer eine tolle Rückrunde, darauf setze ich!