"Vom Himmel in die Hölle" (1991 – 2004)

Alle Beteiligten tauchten in eine Wanne voller Visionen und sahen der mutmaßlich goldenen Zukunft entgegen. Die Rückkehr in die Beletage der Fußballrepublik inklusive. Als auf der Mitgliederversammlung des 1. FC Lokomotive Leipzig am 1. Juli 1991 die Rückbennennung in VfB Leipzig besiegelt war. Mit geringer Verspätung, im Dezember gleichen Jahres, bestieg der Unternehmer Dr. Siegfried Axtmann den Präsidenten-Thron von Prof. Karl Drößler. Zum Sportlichen: Der von Jürgen Sundermann trainierten Mannschaft stand 1991/92 ein langer Abstiegskampf in der in zwei Staffeln geteilten 2. Bundesliga bevor. Weiterer Minus-Faktor - auf Grund von Ausschreitungen während des Mannheim-Spiels entzog der DFB dem Bruno-Plache-Stadion die Austragungsberechtigung, sodass von da an das riesige Zentralstadion, durchgängig vor einer „Geisterkulisse", Heimspielort sein musste. Binnen nicht einmal zwölf Monaten stand der VfB sportlich wiederholt in Relegationsspielen, die um den weiteren Verbleib auf der bundesweiten Fußball-Karte oder den Absturz in die Bedeutungslosigkeit der Regionalliga entschieden - ein Drahtseilakt. Erst in der Abstiegsrunde, dazu noch denkbar knapp (ein Punkt und ein Tor zugunsten des VfB), mit einem 1:0 Erfolg gegen 1860 München, war der Klassenerhalt in trockenen Tüchern.

Eine Wanne voller Visionen: Rückbenennung in VfB Leipzig

Nicht minder anspruchsvoll schienen die Voraussetzungen der kommenden Saison 1992/93. Eine Mammut-Liga aus 24 Teilnehmern, bei sieben zu vergebenden Abstiegsplätzen und drei Aufstiegsrängen, auf die der kühnste Optimist nicht zu schauen wagte. Nur der erneute Klassenerhalt konnte das erklärte Ziel sein. „Mission Possible", so schien es, betrachtet man - 12:2 Punkten im Gepäck, obendrein ohne Niederlage - die ersten sieben Spieltage. Durch eine folgende Niederlagenserie von vier Partien rutschten die „Sundermänner" allerdings wieder in die Wirklichkeit. Doch die Mannschaft fing sich. Das 1:0 über Fortuna Düsseldorf bedeutete den Anfang einer Serie aus 14 Spielen mit nur einer Niederlage. Zur Winterpause brachte dies den zweiten Tabellenplatz hinter dem SC Freiburg. Nicht ausschließlich durch sein überraschendes Auftreten auf dem Platz, ebenso durch einen Rekord-Transfer sorgte der VfB deutschlandweit für Aufsehen. 2,5 Millionen D-Mark spülte Werder Bremen in die Vereinskasse, lotste im Gegenzug allerdings einen der großen Bausteine des Erfolges der Hinrunde an die Weser. Angreifer und Objekt der Begierde Bernd Hobsch sonnte sich zu diesem Zeitpunkt mit 15 Treffern auf dem Spitzenplatz der Torjägerliste.

Mehr schlecht als recht gestaltete der VfB seinen Rückrundenstart. Alle Verfolger - ob Waldhof Mannheim, Hertha BSC oder Fortuna Köln - vermochten es jedoch nicht, die durchaus gegebenen Steilvorlagen aus der Messestadt anzunehmen. Äußerste Dramatik bot der viertletzte Spieltag in Remscheid. Bis zum Hals steckte der Gastgeber im Abstiegsstrudel, führte bis drei Minuten vor Schluss mit 2:1, ehe ein Doppelpack von Genadi Grischin das Geschehen zugunsten der Blau-Weißen auf den Kopf stellte. Erwähnt werden muss, dass „Wundermann" Sundermann nicht über das Saisonende hinweg in Leipzig bleiben würde. Ihn zog es zum direkten Mitkonkurrenten Waldhof. Was dem Aufstiegsfinale die nötige Prise Brisanz verlieh, da gerade am 45. Spieltag das letzte Auswärtsspiel in Mannheim stattfand. Zu jenem Zeitpunkt lag ein mickriges Pünktchen zugunsten der Sachsen zwischen beiden Kontrahenten. Die Leipziger Schlachtenbummler bejubelten letztendlich das eminent wichtige 0:0, wodurch eine Woche darauf die ganze Geschichte in eigenen Händen lag.

Sensationsaufstieg in der Mammut-Spielzeit/Kurzweiliges Abenteuer Bundesliga

38.000 Fans wollten sich den Aufstieg im Zentralstadion nicht entgehen lassen. Die Tore von Jürgen Rische und Dirk Anders gingen schon fast im Jubel unter, weil sich bereits die Wuppertaler Führung - Mannheim musste auswärts an der Wupper ran - im weiten Rund herumgesprochen hatte. Im 100. Jahr des Vereinsbestehens stieg der VfB Leipzig völlig unerwartet in die Bundesliga auf. Zu großen Teilen genoss die Aufstiegstruppe weiterhin das Vertrauen, die zum Beispiel mit dem jungen, hungrigen Steffen Heidrich aus Chemnitz punktuell verstärkt wurde. Der löbliche Weg der kleinen Sprünge blieb leider nicht vom Erfolg gekrönt. Frühzeitig steckte die Elf des neuen Trainers Bernd Stange unten fest, ferner war der VfB letztmalig am 15. Spieltag auf einem Nichtabstiegsplatz zu finden. Drei Siege aus 34 Spieltagen genügten einfach nicht, um bereits nach einer Saison den bitteren Gang in die Zweitklassigkeit zu verhindern. Ungeachtet dessen sind ein paar Highlights nie aus den Gedächtnissen verschwunden - Beispielsweise strömten fast 40.000 Fans zum Bayern-Gastspiel. Nicht zu vergessen der 1:0 Auswärtssieg im schier uneinnehmbaren Dortmunder Westfalenstadion. Helden des Abends - Siegtorschütze Jürgen Rische und Torwart Maik Kischko, der wahrscheinlich das Spiel seines Lebens absolvierte. Abschließend sei natürlich noch das legendäre Sachsenderby am ersten Spieltag gegen Dynamo Dresden vor 31.400 Zuschauern erwähnt. Der VfB führte bereits 3:1, nach 90 Minuten hatte Dynamo dank drei Toren von Olaf Marschall das Ergebnis egalisiert.

Das schwere Trainer-Erbe des ersten Jahres nach dem Bundesligaabstieg trat Tony Woodcock an. Wochenlang sah es gar nicht gut aus. Die Angst des nächsten Abstieges deutlich spürbar, stand der VfB wochenlang auf dem 17. Tabellenplatz. Erst in der zweiten Hälfte kletterte die Mannschaft aus dem Keller. Schlussendlich sprang Platz 13 in der Endabrechnung heraus. Im Dezember 1995 dankte Siegried Axtmann als Präsident ab. Das Auftreten der Profi-Mannschaft glich in den kommenden letzten Zweitligajahren fast immer dem gleichen Schema. Mit einem regelmäßig ordentlichen Punktspielbeginn in die Saison gestartet, endeten alle Hoffnungen meist jäh, spätestens zu Mitte der Hinrunde. Unter Gustl Starek landete man 1996 auf Platz neun, nach Siggi Helds erster Saison, 1997, sogar eine Position besser (Platz acht). Gleiches im Abstiegsjahr: Anfänglich hielt sich das Team sogar kurzzeitig auf einem Aufstiegsplatz. Nach dem 1:0-Sieg in Uerdingen am 28. Spieltag standen zumindest ein „beruhigender" neunter Platz und sieben Punkte Vorsprung auf die Abstiegsränge zu Buche. Daran schloss sich jedoch eine beispiellose Negativ-Serie aus fünf Niederlagen in Folge an. Am letzten Spieltag wartete auf den VfB ein direkte Abstiegsendspiel im Bruno-Plache-Stadion. Ein einziger Heimerfolg gegen Wattenscheid hätte alles sportliche Unheil noch einmal abwenden können, doch schlichen nach der 0:0-Magerkost mehr als 10.000 frustrierte Anhänger unter den Abschiedsklängen „Time to say Goodbye" geradewegs in die Regionalliga.

Absturz bis zum Kollaps

Der Münchner Medienunternehmer Ralph Burkei, seit Sommer 1998 Präsident, bewahrte mit einer Millionenspritze aus der eigenen Tasche den Verein bereits da vor dem vorzeitigen finanziellen Ruin. Den Trainerposten übernahm der zurückgekehrte Erfolgscoach Hans-Ulrich Thomale. Eine nahezu komplett erneuerte Truppe, angeführt von Kapitän und Urgestein Frank Edmond, begeisterte bis tief in die zweite Saisonhälfte hinein die so arg gescholtene blau-weiße Fan-Seele. Nicht zu vergessen, das erste Derby seit fast acht Jahren lockte die Leipziger in den Leutzscher Alfred-Kunze-Sportpark. In einem begeisternden Spiel trennten sich die Kontrahenten 3:3 (Das sportlich belanglose Rückspiel endete 5:0 für den VfB). Erst im Schlussspurt übertrumpfte Chemnitz den VfB und ließ alle Träume vom direkten Wiederaufstieg zerplatzen. Kurz vor Saison-Ultimo schickte Ralph Burkei Uli Thomale in die Wüste, verpflichtete Dragoslav Stepanovic. Der VfB übernahm sich. Die neue, hochdotierte Mannschaft verpatzte den Saisonbeginn, der Präsident trat zurück und auch Stepanovic wurde entlassen. Zurück blieb ein Scherbenhaufen samt insolventem Gesamtverein. Der schöne Traum vom erfolgreichen Vorzeige-Großverein, mit Profiabteilungen aus Fußball, Handball und Volleyball, war wie die berühmtre Seifenblase zerplatzt. Die Handballerinnen und Volleyballer gründeten im Zuge der bevorstehenden Insolvenz eigenständige Vereine. Was vom VfB Leipzig übrig blieb, war die Abteilung Fußball samt überdimensionalen 17 Millionen D-Mark Schulden. Die Reste der Truppe kämpften unter Trainer Achim Steffens bravourös für das Erreichen der zweigleisigen Regionalliga. Lange Zeit sah es gut aus, doch leider ging ihnen auf der Zielgeraden die Luft aus.

Ab 2000 hieß die neue Spielklasse Oberliga. Ex-Schatzmeister Reinhard Bauernschmidt übernahm den Präsidenten-Posten. Die junge Mannschaft, fast ausschließlich bestehend aus Spielern der alten zweiten Mannschaft, lieferte sich einen unerwartet langen Kampf mit dem ebenfalls in der Versenkung verschwundenen, späteren Aufsteiger 1.FC Magdeburg. Die Hoffnung auf Kontinuität war vergebens. Bereits in der Sommerpause beerbte "Dixie" Dörner Achim Steffens auf dessen Trainerstuhl. Den neuerlichen Regionalliga-Aufstieg packte der VfB auch unter seiner Ägide nicht. Und wieder ging das Geld zur Neige. Im Sommer 2003 feierte sich der VfB Leipzig im großen Stile ein letztes Mal selbst. Aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums des ersten deutschen Meistertitels gaben sich Prominenz aus Sport und Politik im großen Saal des Neuen Rathauses die Klinke in die Hand - DFB-Präsident Mayer-Vorfelder, Egidius Braun, Innenminister Otto Schily und Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee, um nur einige zu nennen. Trainer Hermann Andreev brachte in der Saison 2003/04 frischen Wind in die erste Mannschaft. Dies geriet allerdings schnell zur Nebensache. Der Verein war erneut zahlungsunfähig und musste den Insolvenzantrag stellen. Die Oberliga-Mannschaft bestritt bis Saisonende Pflichtfreundschaftsspiele. Der VfB Leipzig sollte diesen Kollaps nicht überleben.

 
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